- Prolog
- Was ist Remote Leadership?
- Was sind die Vorteile von Remote Leadership?
- Welche Kompetenzen werden benötigt?
- Welche Herausforderungen beinhaltet Remote Leadership?
- Epilog
1. Prolog
Ich kann mich noch gut erinnern als wir in meinem damaligen Unternehmen – einer angesehenen Prozessberatung im Bereich Lean Management – das Thema Home-Office im Führungskreis diskutierten. Ich glaube es war 2014 und das Thema war weder selbstverständlich noch war es klar geregelt. So wie heute kann man sagen…
Wir hatten zudem das Pech, damals in einer Holding zu sitzen, bei der die Mutter natürlich solche Regelungen durchwinken musste. Und die war schwäbisch durch und durch, um nicht zu sagen konservativ. Doch auch ich hatte damals als Mitglied der Geschäftsleitung Zweifel. Ehrlich gesagt war es fehlendes Vertrauen in meine (erwachsenen, volljährigen) Mitarbeiter. Was für ein Schwachsinn aus heutiger Sicht.
Genau davon handelt der folgende Artikel. Vom brandaktuellen Thema „Remote Work“ bzw. dessen Anforderungen an das Digital Leadership bzw. Remote Leadership. Und jene, die meine Beiträge schon kennen wissen, dass ich mehr aus der Praxis schreibe, denn wissenschaftliche Veröffentlichungen zu rezitieren. Nachlesen können Sie diese Quellen selbst am besten. Denn ich will Ihnen wertvollen Content aus dem echten Leben zum Umsetzen liefern.
Viele mir persönlich bekannte Führungskräfte aus dem mittleren und oberen Management klagen seit geraumer Zeit über kritische Punkte, die die Distanzierung zu ihren Mitarbeitenden hervorrufen. Welche das sind und wie deren Implikationen auf die Leistungsfähigkeit der Organisation entgegnet werden kann erfahren Sie hier.
In einem meiner anderen Beiträge definierte ich Leadership wie folgt:
„Leadership ist eine Fähigkeit, in jeder Situation so zu führen, dass Unternehmensziele erreicht und beteiligte Personen/Mitarbeitende sich motiviert, sicher und wohl fühlen.“
Doch nun kommt die Sachlage ins Spiel, verteilte Teams führen zu müssen. Mehr als zuvor und vor alle über einen langen Zeitraum. Was bedeutet das an zusätzlichen Kompetenzen für die Führungskräfte?
2. Was ist Remote Leadership?
Führung verändert sich grundlegend und wird zunehmend agiler. Während die klassische Führung von strengen Hierarchien, der Führungskraft mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen und kaum Teilhabe durch Mitarbeiter geprägt ist, lebt agile/digitale Führung von genau dem Gegenteil: Die Strukturen werden flexibler, die Hierarchien werden flacher und die Führungskräfte geben deutlich mehr Verantwortung an unterschiedliche Mitarbeiter ab und lassen Teams sich mehr selbst organisieren. Mehr Eigenverantwortung und Mitbestimmung der Mitarbeiter sowie mehr Transparenz bei Entscheidungsprozessen, mehr Motivation und Inspiration durch die Führungskräfte und insgesamt mehr Beweglichkeit sind elementare Bestandteile agiler Führung (1).
Was ist nun Remote Leadership? Es gibt viele Definitionen. Die meine lautet in Ergänzung zu oben:
„Neben den digitalen Werkzeugen zur Organisation und Kommunikation von und mit verteilten Teams, die Haltung und Empathie zu besitzen, Menschen Orientierung und Inspiration zu vermitteln.“
Was sich so einfach anhört ist in der alltäglichen Praxis für viele eine große Herausforderung. Insbesondere zurzeit, da die physische Nähe nahezu dauerhaft nicht gegeben ist. Wie kann hier Motivation entstehen, wie können generative Dialoge aus der Ferne geführt werden, wie können die Mitarbeitenden emotional abgeholt und gebunden werden, wie können Erfolge auf Distanz gemeinsam gefeiert und erlebt werden, wie schafft man Identifikation etc.?
3. Was sind die Vorteile von Remote Leadership?
Gut, was sind die Vorteile von Remote Leadership? Zuallererst es ist ein „Must have“ in der heutigen Zeit. Da gibt’s nichts zu entscheiden. Will ich oder will ich nicht, sollen wir oder sollen wir nicht? Das sind die falschen Fragen. Nicht ob sondern wie kann es gehen und wie können die Führungskräfte dabei methodisch und technisch unterstützt werden?
Die Vorteil ist, es fördert den Reifegrad der Agilität Ihres Unternehmens. Wenn man nach der Studie des Instituts für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim (2), dann setzt sich Agilität aus vier Dimensionen zusammen: Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit, Kundenzentriertheit und Haltung. Diese Dimensionen können Sie erst erfolgreich bedienen, wenn Ihre Organisation die Kompetenz des Remote Leaderships besitzt.
Stellen Sie sich vor es ist völlig unwichtig, wo auf diesem Planenten Sie, Ihr Team und Ihr Kunde sitzt. Ja, stellen Sie sich das einmal vor. Und alle interagieren in einer Form, die ganz kraftvolle Kreativität, Schaffenskraft und Umsetzungsdrang auslöst. Wie ist diese Vorstellung. Unschlagbar, oder?
4. Welche Kompetenzen werden benötigt?
Neben den schon für die Position eines Mangers wichtige Kompetenzen, erachtet ich in Bezug auf Leadership eine für am entscheidendsten. Die Fähigkeit mit seinen Mitarbeitenden eine vertrauensvolle „Allianz“ eingehen zu können.
Schon Lazlo Bock von Google sagte einmal so treffend: „Sie müssen sich als Führungskraft nicht wirklich ändern“, sagt er. „Wenn ich Manager bin und besser werden möchte, sind zwei der wichtigsten Dinge, die ich tun kann, nur sicherzustellen, dass ich Zeit für die Mitarbeitenden habe und konsequent bin. Und das ist wichtiger als den Rest zu erledigen.“
Daher bedeutet Leadership vor allem, dass gewisse Kompetenzen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung bzw. des Coachings vorhanden sind. Mit die wichtigste Kompetenz, um Wirkung beim Coachee (Mitarbeitenden) zu erzielen, ist die sog. therapeutische Allianz. Ich verstehe Mitarbeitende stets als eine Form von Coachees. Für diese trage ich die Verantwortung, Ihnen den Raum zu öffnen, damit sie sich weiterentwickeln und wachsen können.
So, und nun gibt’s etwas Brain Food zum Thema „Persönlichkeitsentwicklung/Coaching“ und bitte gelassen bleiben. Auch wenn ich nun einen Ausflug in die „Psychoecke“ mache. Es ist jedoch essenziell, um den wirklichen Kern von Leadership und damit besonders von Remote Leadership zu verstehen. Den so bisher in der Management-Welt wenige am Schirm haben.
Eines noch vorweg, natürlich machen Sie keine Psychoanalyse mit Ihren Mitarbeitenden. Doch wenn Sie wollen, dass Sie ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ihrem Team aufbauen, dieses offen ist und Ihnen zuhört, dann sind wir schnell bei einer klassischen Coach-Coachee Situation.
Nun zum Hintergrund. Kein anderer Faktor ist so umfassend in wissenschaftlichen Studien untersucht worden, wie die therapeutische Allianz zwischen Coach und Coachee (Anmerkung: Auch wenn ich Coaching meine, so sprechen ich dennoch von therapeutischer Allianz, da dies der gängige Begriff aus der Forschung ist). So hat beispielsweise eine große Meta-Analyse aus dem Jahr 2018, in der knapp 300 Studien mit mehr als 30.000 Patienten ausgewertet wurden, gezeigt: Zwischen der Beziehungsqualität und dem Erfolg einer Psychotherapie besteht ein robuster positiver Zusammenhang – und zwar unabhängig von anderen Faktoren wie der therapeutischen Schule, Patienteneigenschaften oder der Kultur. Weil sich die Verfahren in Psychotherapie und (Emotions-) Coaching in großen Teilen ähneln, lassen sich diese Ergebnisse eins zu eins auf die Coachingpraxis übertragen.
Übrigens erkannte schon Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, die elementare Bedeutung der therapeutischen Allianz: „Sogar die brillantesten Ergebnisse laufen Gefahr plötzlich weggewischt zu werden, wenn meine persönliche Beziehung zum Patienten gestört wurde. … Die persönliche emotionale Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten ist letztendlich stärker als der komplette kathartische Prozess.“ (3).
Und ich gehe da noch weiter, denn das o.g. lässt sich somit auch auf einen wichtigen Teil des Leaderships übertragen. Im Wesentlichen setzt sich die therapeutische Allianz aus drei Bestandteilen zusammen:
- Übereinstimmung in den Zielen
- Einigkeit über die Rahmenbedingungen zur Zielerreichung
- Positive Bindungsqualität
Neben einer gemeinsamen Zielabsprache und der kommunizierten Transparenz zu Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (AKV) ist somit die Fähigkeit zur (kognitiven) Empathie als Schlüsselkompetenz des Leaders zu betrachten.
Kommt Ihnen das bekannt vor. Bestimmt. Nur hat es Ihnen vermutlich noch keiner richtig und fundiert erklärt.
5. Welche Herausforderungen beinhaltet Remote Leadership?
Meine Kunden und Coachingklienten berichten immer häufiger von der fehlenden, spürbaren Macht. Das eigene Selbst- und Rollenverständnis ist durch die zunehmende Verantwortungsübergabe an die Mitarbeitenden und die Isolation im freien Fall. Die Klienten klagen, dass ihre gefühlte Selbstwirksamkeitskompetenz sich teilweise auf einen geringen Teil reduziert hat. Die große Frage „Warum?“ und „Wozu?“ hämmert den Menschen unaufhörlich auf den mentalen Ambos, der die Zukunft formt.
Ich erfahre es tagtäglich in der Praxis, dass sehr gestandene und in der Öffentlichkeit sehr bekannte Persönlichkeiten dringend eine Neuausrichtung und Sinnstiftung benötigen. So wie ein Notfallpatient die Kochsalzlösung.
Ich rate meinen Klienten stets ein Re-Framing (Neubewertung) der Situation für sich vorzunehmen und die eigenen, bisherigen Erfolge wieder in Ihr Sehfeld zu rücken. Es geht um Heilung von Mangel. Oftmals hilft auch ein 360° Grad Feedback, um für sich zu erkennen, für was mein Umfeld mich schätzt. Daraus lassen sich Handlungsfelder extrahieren. Ein nächster Schritt kann sein, sich der intensiven, strategischen Ausgestaltung der Organisation zu widmen. Denn das ist die Kernaufgabe des Managements bzw. des Leaders, alles nach dem „Warum“ auszurichten. Und die Erfolge feiern, dann kommt auch der Selbstwert und das Selbstvertrauen wieder auf ein gesundes Niveau.
6. Epilog
Wie so vieles ist auch Remote Leadership keine Raketentechnik. Natürlich gibt es Talente, die es leichter haben. Doch es gibt auch die beharrlichen „Arbeiter“, die sich mit viel Fleiß und Fokus zu einem Rollenmodell für ihre Mitarbeitenden entwickeln. Alles ist erlernbar ist meine Devise. Entscheidung werden dort gefällt, wo es mühsam wird. Genau an diesem einen Punkt kehrt sich das Innere nach Außen zeigt sich mit brutalster Unverblümtheit. Wer sich hier selbst führen kann und aus dem Tal heraussteigt, der hat auch die wirkliche Qualität eines Leaders. Und selbst führen bedeutet auch sich Unterstützung zu holen, mit jener der Weg gemeinsam ein Stück einfacher wird. Viele Freude dabei!
Herzlichst,
Ihr Markus Mersinger
Grenzen überschreiten!
Literatur
(1) Evsan, I. et al.: Management der digitalen Transformation in der Praxis: Digitale Motivation: New Work. Studienmaterial AKAD Stuttgart
(2) https://www.hs-forzheim.de/forschung/institute/institut_fuer_personalforschung_ifp/abgeschlossene_projekte/auf_dem_weg_zur_agilen_organisation
(3) Eilert, D.: Unterlagen der Basisausbildung emTrace